„GOTT HAT MICH DURCHGETRAGEN“
Interview mit unserem Katastrophenhelfer Christian über seinen Einsatz in der Ukraine
21. JUNI 2022 | UKRAINE
2021 schickten wir unseren ersten deutschen Katastrophenhelfer (DART) auf einen Einsatz in Äthiopien. Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine konnten bereits mehrere deutsche DARTs in der Ukraine und den umliegenden Ländern praktische Hilfe leisten. Wir haben Christian gebeten, uns ein bisschen von seinem Einsatz zu berichten.
Christian, du warst fünf Wochen in der Ukraine im Einsatz. Hast du Vorerfahrung in Katastrophenhilfe?
Ja und nein. Ich hab Rettungsingenieurwesen in Köln studiert und dabei viel darüber gelernt, wie man in Krisen helfen kann. Dabei war natürlich vieles Theorie. Mir war wichtig, dass ich letzten Endes nicht einfach nur einen Job habe, um zu arbeiten, sondern ich wollte etwas Sinnvolles machen. Aber auf einem richtigen Katastropheneinsatz war ich vorher noch nie.
Wie bist du denn auf Samaritan’s Purse aufmerksam geworden?
Das war letzten Sommer während der Flutkatastrophe – da hab ich euch das erste Mal bewusst wahrgenommen. Während meiner zwei Tage im Ahrtal hab ich Menschen von Samaritan’s Purse getroffen und die haben mir dann auch von der Katastrophenarbeit erzählt. Und als ich einige Wochen später meine Bachelor-Arbeit abgegeben hab, hab ich mich sofort als DART beworben.
Was waren dann die nächsten Schritte?
Ich hatte Kontakt mit dem deutschen Büro von Samaritan’s Purse. Dann habe ich das Online-Training gemacht und war quasi ab September im Standby.
Viele fragen sich ja, wie sie Katastrophenarbeit und einen normalen Job vereinbaren können. Wie ist das bei dir?
Als Student habe ich in einem Brandschutzingenieurbüro gearbeitet und nach Ende meines Studiums wollte mein Chef mich gern behalten. Ich hab ihm von vornherein gesagt, dass ich unbedingt diese Kriseneinsätze machen will. Und wir haben uns darauf geeinigt, dass diese als unbezahlter Urlaub gelten und so konnte ich letztlich auch fünf Wochen in der Ukraine bleiben – die meisten Einsätze sind ja drei bis vier Wochen.
Im April 2022 ging’s dann endlich für dich in die Ukraine. Wie waren deine ersten Tage?
Ich gebe zu, als der Krieg ausbrach, hab ich das gar nicht mit einem Einsatz in Verbindung gebracht. Aber bereits einen Tag später kam die E-Mail von Samaritan’s Purse. Und ich hab gedacht: Ich hoffe, ich darf hinfahren. Ich wusste, dass ich keine Erfahrung hatte, aber ich wollte einfach gern helfen. Es sollte dann noch einige Zeit dauern, bevor es endlich losging. Erst ging’s nach Krakau – da gab’s ein Meeting mit allen neuen DARTs, später dann in die Ukraine. Vor allem die Sprache war eine Umstellung. Ich kann zwar Englisch, aber es den ganzen Tag zu hören und sprechen war am Anfang ziemlich anstrengend.
Als DART gibt es ja verschiedene Aufgabenbereiche. Was war deine Rolle?
Ich sollte für den Bereich Logistik und Beschaffung arbeiten, d. h. ich war zum einen dafür zuständig, Übersetzer und einheimische Fahrer mit unseren Teams zu koordinieren. Mein zweites Aufgabengebiet war die Beschaffung von Hilfsgütern, d. h. mir hat jemand ‘ne Liste in die Hand gedrückt von Dingen, die sie z. B. für Verteilungen brauchen und ich hab dann mit Übersetzern recherchiert, Preise abgeglichen, Verfügbarkeit gecheckt und dann die Sachen besorgt und zum Lagerhaus gebracht. Und nachts hab ich dann die ganze Dokumentation mit den Rechnungen gemacht.
Klingt nach vollen Tagen! Wie anstrengend war das für dich?
Auf der einen Seite war es schön, weil ich Russisch spreche und ich mich so leichter mit den Ukrainern verständigen konnte. Aber was die Aufgaben anging, bin ich in den ersten Wochen echt überfordert gewesen. Ich hatte die Alleinverantwortung für meinen Bereich und es war einfach unglaublich kräfteraubend. Es gab einfach so viel zu tun und der Tag hat halt auch nur 24 Stunden.
Aber genau darin hab ich Gott erlebt. Denn er war wirklich der Einzige, an dem ich mich festhalten konnte. Und er hat die ganze Zeit hindurchgetragen. Als aufgabenorientierter Mensch hab ich die ganze Zeit versucht, alle Probleme alleine zu lösen – was natürlich nicht geht, aber Gott hat es möglich gemacht. Ich kann immer noch kaum glauben, dass – obwohl ich so überfordert war – am Ende immer alles funktioniert hat.
Oh wow, das klingt wirklich herausfordernd. Wurde es dann besser?
Ja! Nach drei Wochen habe ich endlich unserer Teamleiterin erzählt, dass ich Unterstützung brauche. Sie war ganz überrascht, weil es anscheinend so aussah, als hätte ich alles im Griff. Und ich kann wieder nur sagen, dass es Gott war, der das geschafft hat. Bereits am nächsten Tag hatte ich eine zweite Person an meiner Seite und von da an wurde es immer besser.
Gab es etwas, was dich während deines Einsatzes überrascht hat?
Definitiv die morgendlichen Andachten. Von denen habe ich – ehrlich gesagt – nicht viel erwartet, aber die haben einen großen Unterschied gemacht. Denn dadurch habe ich gemerkt, dass auch andere mit ähnlichen Themen kämpfen wie ich und dass wir versuchen, alles aus eigener Kraft zu schaffen. Aber die Andachten haben mich dran erinnert, dass alles in Gottes Hand liegt und dass er derjenige ist, der letztlich die Menschen, denen wir dienen wollen, versorgt.
Hattest du trotz all der Aufgaben trotzdem die Chance, mit Ukrainern zu sprechen?
Ich hab mich mit den Übersetzern und Fahrern unterhalten. Und durch meine Russischkenntnisse haben sie sich mir schnell anvertraut und erzählt, wie wütend und traurig sie über den Krieg sind. Es gab einen ganz besonderen Moment, wo mich einer fragte, ob er mir Schokolade für seine Frau mitgeben kann, die in Deutschland ist. Du musst wissen, deren Kultur ist eine Schamkultur, und dass er mich gefragt hat, war etwas sehr Besonderes.
Oftmals haben mich die Männer auch gefragt: Warum geht ihr in ein Land, aus dem andere rausgehen? Und dadurch konnten wir erzählen, dass wir wie der barmherzige Samariter Not lindern wollen. Und dass wir helfen, weil Jesus es uns aufträgt.
Hast du zum Abschluss noch ein paar Tipps für andere, die vielleicht überlegen, auch DART zu werden?
Das Erste ist auf jeden Fall die Sprache. Man muss nicht perfekt Englisch sprechen, aber man muss sich bewusst sein, dass man den ganzen Tag nichts anderes spricht.
Eine zweite Sache: Ich würde mir genau überlegen, ob das der Ort ist, an den mich Gott ruft. Gerade in den Momenten, die richtig anstrengend waren und ich an meinen Fähigkeiten gezweifelt habe, hat mich die Gewissheit, dass Gott mich hier haben will, gestärkt. Und dann kann ich anderen trotz aller Schwierigkeiten dienen. Und sie sehen dadurch, wie sehr wir und letztlich Gott sie liebt. Denn Liebe zeigt sich dadurch, wie viel wir bereit sind aufzugeben.