„ICH WILL NIE VERGESSEN, DASS DAS NICHT SELBSTVERSTÄNDLICH IST“
Empfängerkind Doina mobilisiert jetzt andere zum Mitpacken

1. NOVEMBER 2021  |  DEUTSCHLAND & REPUBLIK MOLDAU

„Meine Geschichte ist nicht sehr spektakulär“, sagt Doina fast ein bisschen entschuldigend. Dass wir so viel Interesse an ihrer Geschichte haben, kann sie kaum verstehen. Doch sie erzählt sie gerne – denn wenn es dazu beiträgt, dass noch mehr Menschen Schuhkartons packen und Kinder beschenken, dann teilt sie mit uns gern, was ihr Schuhkarton ihr bedeutet hat.

Eine behütete Kindheit

Aufgewachsen ist sie im Norden der Republik Moldau. „Es gibt große Unterschiede zwischen dem Norden und Süden der Republik Moldau. Für mich ist es manchmal unglaublich, dass selbst in meinem eigenen Land Menschen so arm sein können“, beschreibt sie die Situation im Süden des Landes. 

Doina Empfängerkind

Doch sie und ihre sechs Geschwister wachsen in einem behüteten Umfeld auf. Ihr Vater ist Pastor in einer großen Pfingstgemeinde und mit vielen christlichen Organisationen und Kirchengemeinden vernetzt und ständig unterwegs. Das Einkommen für die neunköpfige Familie verdient er – weil das Amt des Pastors nicht vergütet wird ‒ als Schweißer und durch Feldarbeit. „Wenn das Wetter nicht mitgespielt hat, hat man halt weniger verdient“, erzählt die heute 30-jährige Doina, deren Geburtstag ebenfalls durch die Abhängigkeit von der Landwirtschaft beeinträchtigt wurde. „Nach der Ernte im Herbst hatten wir ausreichend Geld. Doch im März, wenn mein Geburtstag war, war viel weniger übrig – und schon gar nicht für Geschenke.“

Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind
„Wir hatten nicht viel, aber wir waren sehr glücklich“, beschreibt Doina ihre Kindheit.

„Aber alles, was uns gefehlt hatte, wurde durch Liebe und Gemeinschaft ausgeglichen“, sagt Doina voller Überzeugung.

„Wir hatten nicht das Gefühl, dass uns etwas gefehlt hat.“

Selbst dann nicht, als sie keine Winterschuhe hat und Gott bittet, ihr Stiefel zu schicken. Von einer englischen Hilfsorganisation erhält sie dann gebrauchte Schuhe. Gefallen tun sie dem Mädchen nicht, aber wenigstens hat sie jetzt Winterstiefel. Und so erlebt sie immer wieder, dass sie haben, was sie brauchen – aber nicht mehr.

Allein das Geschenkpapier war etwas ganz Besonderes

Und dann erlebt sie das Wunder von „Weihnachten im Schuhkarton“ – auch wenn sie erst Jahre später den Namen der Aktion erfährt, die so viel Emotion und Staunen in ihr hervorrufen wird. Der Schuhkarton ist unvergleichbar mit allem, was sie jemals erhalten hat. „Zu Weihnachten gab’s bei uns in der Gemeinde für die Kinder nur ein kleines Tütchen mit Keksen, einem Apfel, einer Mandarine. Vor allem die Mandarine war etwas sehr Besonderes“, erzählt sie. Aber die Schuhkartons waren wie bunte Schatzkisten aus einer anderen Welt – bis zum Rand gefüllt mit unvorstellbaren Kostbarkeiten.

Doina Empfängerkind

„Ich kann mich noch sehr gut an die Emotionen erinnern. Allein das Geschenkpapier – wir kannten ja nur die Weihnachtsbeutel aus der Gemeinde und haben das bunte Papier bestaunt. Und dann die Freude, auszupacken und zu vergleichen und miteinander zu tauschen – das war so schön!“ 

Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind

Wenn Doina sich an das Staunen des gemeinsamen Auspackens erinnert, ist sie einfach nur dankbar. „Jedes einzelne Teil war etwas ganz Besonderes – die Haargummis, die Schokolade und vor allem die Malstifte! Das war mega besonders, denn zu Schulbeginn hatten wir zwar Hefte bekommen, aber unter dem Jahr gab es natürlich keine neuen Sachen. Wir schrieben einfach so lange mit unseren Kulis, bis sie leer waren. Jetzt erinnere ich mich gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal einen Kuli leergeschrieben hab’“, vergleicht sie ihr Leben von damals mit dem heutigen. 

Doina Empfängerkind

Auch Doinas Geschwister, die sie nach ihren Erinnerungen an ihre Schuhkartons fragt, erinnern sich voller Dankbarkeit an diesen Moment.

„Der Schuhkarton war so besonders, weil er nur für mich war“,

fasst Doina es zusammen. Zum ersten Mal hatte sie Spielzeug und Dinge erhalten, die nicht secondhand und schon benutzt waren. Zum ersten Mal erhielt sie einen ganzen Karton voller neuer Geschenke – nur für sie!

Andere mit ihrer Geschichte zum Mitmachen begeistern

Die Gefühle von damals, die vermutlich nur Menschen wirklich nachfühlen können, die ähnliches erlebt haben, bringen Doina heute dazu selber zu packen. Seit über zehn Jahren lebt sie inzwischen in Deutschland und arbeitet als Business Development Manager in einem mittelständischen IT-Systemhaus in Süddeutschland. Durch diesen Job stolpert sie auch fast zufällig über ein Unternehmen, das sich für „Weihnachten im Schuhkarton“ engagiert. Endlich hat sie einen Namen zu den Schuhkartongeschenken, die so viel Farbe und Leuchten in ihr Leben gebracht haben. 

Doina Empfängerkind
Doina nimmt jeden einzelnen Tag als Geschenk.

Dass sie sich in diesem Jahr selber engagieren wird, ist für sie selbstverständlich. Ihre Kollegen, von denen einige die Aktion schon kannten, hat sie durch ihre Geschichte auch noch mal ganz neu motiviert. Einige geben ihr Geldspenden, von denen sie Geschenke einkauft und Anfang November dann eine kleine Packparty feiert. Doina will vor allem für Jungen von 10 bis 14 Jahren packen und hat schon so einiges eingekauft. „Ich hab’ Hygieneartikel gekauft, denn damals haben wir Zahnpasta wirklich bis zum letzten Tropfen ausgedrückt. Und Haargel ist laut meiner Schwester ganz wichtig“, lacht sie. Einen Tipp für Spielzeug hat sie auch noch: „Viele Spiele, die hier in Deutschland gespielt werden, kannten wir zuhause nicht. Domino kannten wir ‒ aber bei Schach haben wir eigene Regeln erfunden.“ 

Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind

Besonders wichtig ist ihr eine persönliche Karte und die Ermutigung zur Schule zu gehen.

„Wissen ist die einzige Chance aus Armut auszubrechen“,

weiß sie aus eigener Erfahrung. Nach dem Tod ihres Vaters war die Schule der Ort, wo sie sich im Lernen vergraben konnte. Als sie mit 18 Jahren dann nach Deutschland kommt, lernte sie nicht nur die Sprache, sondern macht eine Ausbildung, arbeitet und macht nebenbei ein Bachelor-Fernstudium. Sie wünscht sich, dass sie durch ihren Schuhkarton ebenfalls ein Kind ermutigen kann, groß zu träumen.

Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind

Und sie wünscht sich, dass vor allem noch viele andere mitpacken und dadurch Wertschätzung, Freude, Ermutigung und Liebe zu Kindern in Ländern wie Moldau bringen. „Wir sind so gesegnet, hier alles zu haben“, sagt sie und staunt immer noch über die Sicherheit und den Wohlstand, den sie in Deutschland erleben darf.

„Ich will nie vergessen, dass das nicht selbstverständlich ist.“

Doina Empfängerkind
Doina Empfängerkind

Ihre Worte und ihr Handeln sind Beweis, dass sie zu einem „Menschen mit großem M“ geworden ist – eine moldauische Redewendung – wie ihr Vater sich für seine Kinder immer gewünscht hat. „Ihm war wichtig, dass wir bodenständig sind, helfen und respektvoll sind“, sagt sie und versucht es jeden Tag aufs Neue zu leben. Und ihr Einsatz für „Weihnachten im Schuhkarton“ ist Teil davon, diese Werte umzusetzen und ihren Segen mit anderen zu teilen.

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