VÖLKERMORD-ÜBERLEBENDER ENGAGIERT SICH
Japhet aus Ruanda packt in der Weihnachtswerkstatt
14. DEZEMBER 2018 | DEUTSCHLAND
Stille Nacht! Heil'ge Nacht! / Alles schläft; einsam wacht
Nur das traute hoch heilige Paar. / Holder Knab' im lockigen Haar,
Schlafe in himmlischer Ruh! / Schlafe in himmlischer Ruh!
Dieses Lied wird jedes Jahr in meiner Kirchengemeinde zum Abschluss des Weihnachtsgottesdienstes gesungen. Die Lichter werden gelöscht, die Instrumente verstummen und im Kerzenschein singt die Gemeinde dieses bekannte Weihnachtslied. Und es fühlt sich so wunderbar weihnachtlich an.
Doch wie viele Menschen sind meilenweit davon entfernt, eine stille und ruhige Nacht zu haben …
Genozid
Die Nacht ist dunkel und beängstigend. Der Fluss vor ihren Füßen ist tiefschwarz und das Grollen der reißenden Wassermassen erstickt jedes andere Geräusch. Japhet kämpft mit seiner Angst. Der 13-Jährige kann nicht schwimmen, trotzdem folgt er mutig seinem Vater und Brüdern in die kalten Fluten. „Lieber ertrinken, als erschlagen zu werden“, sind seine Gedanken, bevor sie endlich das rettende Ufer erreichen.
Es ist das Jahr 1994. Japhet und seine Familie sind auf der Flucht. Auf der Flucht vor Nachbarn, Freunden – Menschen, denen sie bis vor Kurzem noch vertraut hatten. Sie sind auf der Flucht vor dem aufgebrachten Mob der Hutu-Mehrheit des Landes, der nur ein Ziel hat: Die Tutsi auszurotten!
Innerhalb von 100 Tagen wurden ca. 75 Prozent der Tutsi umgebracht. Je nach Schätzungen spricht man von 800.000 bis 1.000.000 Todesopfern. Erschlagen, erstochen, verbrannt – oftmals von ihren eigenen Nachbarn.
Bis zum Ausbruch des Völkermordes war sich Japhet Dufitumukiza nicht einmal bewusst, dass er zur Minderheit der Tutsi gehörte. Und plötzlich waren seine Mutter und sechs seiner Geschwister tot. Und Japhet mit seinem Vater und Brüdern auf der Flucht in den benachbarten Kongo. Sie entkamen dem Morden, nicht aber der Trauer und Verzweiflung.
„Wir sahen, wie drüben in Ruanda die Häuser der Tutsi brannten und die Bewohner getötet wurden“,
erinnert sich der inzwischen erwachsende Mann mit Schaudern.
Die Rückkehr
Als die Mordslust der Hutu abklang und es sicher erschien, zurück nach Ruanda zu kehren, wusste der Vater sich nicht anders zu helfen, als seine Söhne ins Heim zu geben. Viele Häuser lagen in Trümmern und Menschen hausten in Zelten. Im Kinderheim, das von unserem Partner Samaritan’s Purse finanziert und geleitet wurde, hatten die Jungen wenigstens ein Dach überm Kopf.
Das Leben im Waisenhaus war nicht leicht. „Es herrschte eine große Traurigkeit. Die Kinder haben oft geschrien. Viele hatten ihre Eltern und Geschwister verloren. Sie hatten Dinge gesehen, die ein Kind nicht sehen darf,“ berichtet Japhet, der ebenfalls mit dem schmerzlichen Verlust seiner Familie kämpft.
Geschenke für trauernde Kinderherzen
In diese Situation herein kamen die Geschenke von „Weihnachten im Schuhkarton“ (international: „Operation Christmas Child“).
Kurz vor Weihnachten wurden die rund 300 Kinder des Waisenhauses mit Schuhkartons überrascht. Geschenke waren nicht üblich und so manches Kind konnte nicht glauben, dass es etwas in den Händen hielt, das allein für ihn war.
Auch für Japhet war es das erste Geschenk seines Lebens. Sein Lieblingsstück war vor allem das Jo-Jo. „So etwas hatte sonst niemand bekommen. Ich war der Star!“, berichtet er mit einem Schmunzeln.
Noch wertvoller als jedes einzelne Geschenk war für ihn nach den traumatischen Erlebnissen jedoch die Botschaft, die in diesem Karton steckte:
„Er symbolisierte, dass es Menschen gibt, die an mich denken und die mich lieben. Bis heute habe ich diese Geste nicht vergessen.“
Ein neues Leben
Seit 2004 lebt Japhet inzwischen in Deutschland, derzeit in der Nähe von Mainz. Zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern ist er dankbar für dieses veränderte Leben. Er blickt nach vorn. Und das ist vor allem möglich, weil er den Mördern seiner Familie vergeben konnte. Geholfen hat ihm ein Vers aus der Bibel: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkünden.“ (Psalm 118,17). Diese Worte hatten ihn wie einen Blitz getroffen und er merkte, dass er als Überlebender des Genozids eine wichtige Aufgabe hatte: Gottes Botschaft der Versöhnung zu verkünden und zu leben.
Über diese Vergebung sprach er auch, als er am 1. Dezember 2018 in der Birkenfelder Weihnachtswerkstatt mithalf. Japhet berichtete von seinen Erlebnissen und ermutigte die Ehrenamtlichen auch in kleinen Situationen einander zu vergeben. Die Anwesenden waren sichtlich gerührt von seinem Bericht. Japhet ist ein lebendes Beispiel, dass ein Schuhkarton viel mehr als ein Glücksmoment ist, sondern etwas in Gang setzt, dass das Leben eines Kindes grundlegend verändern kann.
Und so kann Japhet inzwischen mit Frieden im Herzen zu diesem Weihnachtsfest mitsingen:
Stille Nacht! Heil'ge Nacht!