„ES BEDEUTET IHNEN EINFACH ALLES“
Interview mit Katastrophenhelferin Kelly Sites, DART-Krankenschwester für Samaritan’s Purse

24. MÄRZ 2021  |  WELTWEIT 

Dieses Interview ist ein Zusammenschnitt der Folge „Meet Kelly Sites, a DART Nurse“ von On the Ground, dem Podcast von Samaritan’s Purse International. Kelly Sites arbeitet seit 21 Jahren als Krankenschwester und ist bereits seit mehr als zehn Jahren und 17 DART-Einsätzen mit Samaritan’s Purse unterwegs. 

Kelly, erklär uns doch mal gleich am Anfang was ein DART ist.

DART steht für Disaster Assistant Response Team und ist ein Katastrophenhilfsteam. Egal wo es auf der Welt eine Katastrophe gibt, wie z. B. ein Erdbeben, ein Tsunami, ein Hurrikan, ein Zyklon, eine Flüchtlingskrise, ein Ausbruch von Cholera, Diphtherie, Ebola ‒ wir reagieren darauf. Wir setzen medizinische Teams ein, aber wir haben auch Teams für Wasser- und Sanitärversorgung, Teams für Notunterkünfte, für die Verteilung von Nahrungsmitteln und Logistikpersonal. Und je nach Krise können wir unterschiedliches Personal einsetzen.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)
Kelly Sites im Einsatz nach dem Ecuador-Erdbeben 2016.

Wie hat deine Arbeit als DART mit Samaritan’s Purse begonnen?

Vor mehr als zehn Jahren arbeitete ich als Krankenschwester in der Intensivstation und ich hatte das Gefühl, dass Gott möglicherweise noch andere Pläne für mich hat. Ich begann zu beten, dass er mir zeigt, ob er mich woanders haben will und wo. Ein Jahr lang betete ich und wusste nicht genau wofür. Und ein Jahr später – 2010 – passierte das Erdbeben auf Haiti. Als ich die Nachrichten und die Not der Menschen sah, spürte ich Gott dann sagen: ‚Das Gebet, das du ein ganzes Jahr lang gebetet hast – das ist die Antwort.‘

Das war mein erster DART-Einsatz und ich dachte, es wäre eine einmalige Sache, denn es war wirklich nicht einfach. Aber Gott hat mir zugesprochen: ‚Ich werde mit dir sein. Du schaffst das!‘ Und so ging ich auf meinen zweiten Einsatz – denn kurze Zeit später brach Cholera auf Haiti aus – und ich habe mich in die Arbeit verliebt. Sich einfach um die Patienten zu kümmern – ich wusste, dass es das ist, was ich mit meinem Leben machen möchte. Jetzt bin ich hier – rund zehn Jahre später – und kann es immer noch kaum glauben, wie ein einziges Gebet mein ganzes Leben verändert hat.

Wie genau läuft der Prozess ab, sobald jemand offiziell als Katastrophenhelfer gelistet ist? Man bekommt einen Anruf und muss dann alles stehen und liegen lassen?

Manchmal kommt der Anruf nicht ganz überraschend, weil man zum Nachrichtenjunkie wird, sobald man als DART gelistet ist. Aber manchmal kommt ein Erdbeben und niemand erwartet es. Und du bist einfach zu Hause und lebst dein Leben, kochst Abendessen für deine Familie – und plötzlich kommt ein Anruf und sie fragen – so hab ich es schon erlebt: ‚Kelly, kannst du in vier Stunden für einen Monat nach Tansania gehen?‘ Und ich sage: ‚Klar kann ich!‘ Und dann mach ich mich sofort an die Vorbereitungen. Normalerweise halte ich alle meine medizinischen Sachen für den Einsatz bereit. Ich kann mich wirklich schnell fertigmachen, aber ich habe einen Mann und Kinder, die ich versorgen muss. Und ich muss andere Sachen, wie Arbeit etc. regeln. Aber man ist aufgeregt, das Adrenalin schießt in die Höhe und man ist voller Vorfreude auf das, worauf man sich einlässt.

Wie geht denn deine Familie mit all dem um?

Ja, das ist ein wichtiges Thema. Die Familie muss immer das Wichtigste in all dem bleiben. Aber manchmal ruft Gott uns auch andere Dinge zu tun. In unserer Familie haben wir uns entschieden, dass es UNSER Familiendienst ist. Es ist nicht nur MEINE Sache. Mein Mann sagt immer: Du gehst, ich sende! Und das ist wichtig, denn er muss die Dinge zuhause auffangen, wenn ich mal für einen Monat weg bin. Und auch die Kinder sind 100%ig dabei und auch ein bisschen stolz, dass ihre Mama im Krisengebiet im Notfallkrankenhaus hilft.

Inwieweit hat dich deine Arbeit als DART verändert?

Gute Frage. Weißt du, wenn man an Orten eingesetzt wird, wo es z. B. Ebola gibt – ich war viermal während eines Ebola-Ausbruches eingesetzt – dann kann man den Menschen immer nur zu einem gewissen Grad helfen. Und das kann ziemlich niederschmetternd sein, weil wir ja eigentlich dafür da sind, Leben zu retten. Aber bei solchen Einsätzen sind die Dinge oftmals begrenzt – die Medikamente, die Vorräte, alles. Aber als Krankenschwester habe ich in den 17 Einsätzen das gelernt: Selbst wenn wir medizinisch nichts mehr tun können, können wir immer noch Fürsorge leisten, Menschen die Hand halten, neben ihnen sitzen und für sie beten.

Eine der Fragen, die mir die Leute während eines Einsatzes immer wieder stellen, ist: „Warum seid ihr hier? Warum helft ihr uns, statt Weihnachten mit eurer Familie zu feiern?“ Es bedeutet ihnen einfach alles, dass jemand so etwas für sie tun würde und ihnen in ihren schlimmsten Momenten beisteht.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)
Kelly kümmert sich um Erdbeben-Opfer in Ecuador.

Wir bereitest du dich darauf vor, in Situationen zu gehen, wo Patienten sterben und du dich sogar anstecken könntest?

Ich bin überhaupt kein Held und das soll auch nicht heldenhaft klingen, aber ich mache mir ehrlich gesagt keine Gedanken darüber. Wir haben einen Job zu erledigen. Samaritan’s Purse leistet großartige Arbeit darin, wie sie uns ausbilden. Und letztendlich habe ich einen großen Gott, der sich mir in großer Weise gezeigt hat. Ich weiß, dass ich seine Gegenwart spüren kann. Ich habe so viele Geschichten, wo ich ein Stoßgebet gebetet habe: ‚Gott, ich brauche dich jetzt. Ich brauche Hilfe.‘ Und er hat sich mir gegenüber treu gezeigt. Und das ist die Wahrheit. Man kann diese Arbeit nicht tun, ohne an Gott festzuhalten – jeden einzelnen Tag. Denn wir wissen nie, wann der Anruf kommt. Wenn wir in den vier Stunden, die wir packen müssen, denken: ‚Oh, ich muss jetzt schnell beten, damit Gott mein Herz ganz auf diese Menschen ausrichtet‘ – das reicht nicht aus. Man muss jeden einzelnen Tag Gott suchen und sein Wort lesen, so dass man den verzweifelten Menschen mit vollem Herzen begegnen kann. 

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)

Gibt es einen Bibelvers, der dir bei DART-Einsätzen besonders wichtig ist?

Ich habe eine kleine Tradition, wo ich vor jedem Einsatz auf meine Schuhe ‚Philipper 4,13‘ schreibe. Denn ich weiß, dass ich irgendwann nach zwei, drei Wochen intensiver Arbeit mit 17-Stunden-Schichten, ich nichts gegessen habe, mir der Schweiß läuft und ich meine Familie vermisse, Ermutigung brauche. Und dann schaue ich nach unten auf meinen Schuh und er erinnert mich, dass ich alle Dinge tun kann durch Jesus, der mir Stärke gibt.

Was würdest du jemandem erwidern, der denkt ‚ich könnte das niemals tun‘?

Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich so eine Arbeit machen könnte. Ich dusche gern. Ich esse gern. Ich hab gern einen Ventilator in heißen Sommernächten. Ich mag saubere Laken. Aber es stimmt: Wenn Gott uns ruft, dann rüstet er uns auch aus. Wenn du also glaubst, dass du das niemals könntest, dann bist du genau die Art von Person, die wir brauchen. Denn nur dann kann Gott zeigen, wie groß er ist. Denn ehrlich gesagt ist diese Arbeit für jeden von uns zu schwer. Aber Gott ist ein großer Gott. Also nein, du selbst kannst das nicht aus eigener Kraft tun. Niemand von uns kann das. Aber Gott kann es. Und er wird dich ausrüsten und dich verändern. Und es gibt nichts Besseres, als deine gottgegebenen Fähigkeiten für seine Zwecke einzusetzen.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)
„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)

Jeder Einsatz ist vermutlich anders, aber was kann man erwarten? Wie sieht so ein ‚normaler‘ Tag auf einem DART-Einsatz aus?

Der Morgen startet immer mit einer gemeinsamen Andacht, denn wir wissen, dass wir den Tag mit Gott beginnen müssen. Wir beten als Team, lesen die Bibel und dann geht’s los. Wenn wir mobile medizinische Hilfe anbieten, dann quetschen wir uns in die Autos, bringen unsere mit Medikamenten und Wundversorgung gefüllten Taschen mit und fahren los. Wir kümmern uns um Hunderte von Patienten. Nach einem langen Tag – nicht selten arbeitet man 17 Stunden, geht’s zurück, man duscht, isst und geht ins Bett.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)

Die ersten Tage eines DARTs – direkt nach der Katastrophe – können besonders herausfordernd sein. Ich sag immer, dass Erdbeben und Hurrikans die schwersten Einsätze sind, weil alles zerstört ist. Es gibt kein Wasser, kein Strom, manchmal kein Essen, weil die Märkte und Geschäfte zerstört sind. Ich habe schon auf einem Stück Pappe geschlafen, meine Kollegen auf Sonnenliegen neben dem Pool. Manchmal bringen wir unsere eigenen Dixi-Klos mit, schlafen im Zelt und ernähren uns hauptsächlich von Fertigmahlzeiten.

Als allerletzte Frage an dich: Kannst du uns erzählen, warum du immer wieder – seit zehn Jahren – auf DART-Einsätze gehst?

Da gibt’s viele Antworten. Zum einen ist es die Familienmentalität. Egal ob du zum ersten Mal bei DART dabei bist oder es dein 17. Einsatz ist – du gehörst zur DART-Familie. Egal in welchem Bereich du mitarbeitest – Notallmedizin, Logistik, Finanzen, der Typ, der den Generator am Laufen hält – wir sind Familie. Wir arbeiten alle für dieselbe Sache – Menschen in Not zu helfen, weil Jesus uns dazu aufruft. Ich liebe es. Meine DART-Freunde sind meine engsten Freunde geworden.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)

Der zweite Grund ist, in einer Position zu sein, anderen helfen zu können. Man kann an der Seite von Menschen sein, die buchstäblich alles verloren haben, weil sie mitansehen mussten, wie ein Hurrikan alles weggeschwemmt hat, wofür sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Diese Menschen vertrauen uns, weil wir an ihren schlimmsten Tagen bei ihnen sind und wir haben eine großartige Gelegenheit, ihnen vom Licht und der Hoffnung Jesu zu erzählen.

„Es bedeutet ihnen einfach alles“ (Interview mit DART Kelly Sites)

Und drittens: Die Möglichkeit, einen großen Gott zu sehen. Wenn man mitten im Krisengebiet ist und denkt: ‚Ich kann keine weitere Minute in dieser furchtbaren Situation sein‘, dann klammert man sich an Gott. Und dann erlebt man Gott in einer machtvollen Weise – weil wir ihn mächtig brauchen.

Vielen Dank, Kelly, für den Einblick in eure unglaublich wertvolle Arbeit.

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