Ich bin M.*
Tagebuch aus dem Rotlichtmilieu - Teil 1

 

 

MONTAG

Es ist meine erste Nacht in Berlin. Die winterlichen Straßen sind eiskalt. Autos bremsen neben mir ab und Stimmen sprechen Worte, die ich nicht verstehen kann. Ich kann kein Deutsch, ich weiß nur, wie ich meinen Preis nennen soll. Bis zum Ende der Nacht muss ich 500 Euro verdienen: 100 Euro für mein Hotelzimmer, 200 Euro, um es meiner Familie zu schicken, 200 Euro für meinen Zuhälter. Der Druck, Geld zu verdienen, verdrängt fast die Angst, ins Auto eines Fremden zu steigen. Auf einmal kommen Frauen auf mich zu und bieten mir Kaffee an. Sie sagen, sie sind von Alabaster Jar. Die Verständigung ist nicht einfach, aber durch eine Übersetzer-App und ein „Willkommenspaket“ in meiner Sprache verstehe ich: Aus irgendeinem Grund bieten diese Menschen Unterstützung an und wollen keine Gegenleistung.

DIENSTAG
Etwa 6 Wochen später

Ich sitze in meinem Hotelzimmer und versuche, nicht in Panik zu geraten. Es ist die dritte Nacht, in der ich meine Quote nicht erfüllt habe. Ich bin erschöpft und habe seit Tagen unglaubliche Zahnschmerzen. Ich weiß, dass ich einen Arzt aufsuchen muss, aber welchen? Ohne Versicherung? Da erinnere ich mich an das Alabaster Jar-Team und daran, was sie mir noch am selben Abend geschrieben haben: „Wir sind hier, um dir zu helfen. Schick uns einfach eine SMS.“ Ich hole mein Handy und beginne zu tippen. Lösche. Die Vorstellung, um Hilfe zu bitten, ist mir peinlich.

MITTWOCH
6 Monate später

Seit meinem ersten Treffen mit dem Team von Alabaster Jar sind sechs Monate vergangen und ich freue mich immer mehr auf die Besuche im Café Neustart. Der Kaffee, der Versuch, sich zu verständigen, das Lachen – das gibt mir immer das Gefühl, ein echter Mensch zu sein. Ich erzähle von den traumatischen Erlebnissen auf der Straße. Das Team hört zu, stellt Fragen und betet für mich. Dann sagen sie etwas, was ich nicht glauben kann: „Wenn du aus der Prostitution aussteigen willst, können wir dir helfen.“

DONNERSTAG
2 Monate später

Im Café wird gerade eine warme Mahlzeit serviert, als ich hereinstürme. Ich habe mich gerade mit meinem Zuhälter gestritten und frage in Panik: „Ich möchte jetzt aus der Prostitution aussteigen, könnt ihr mir helfen?“ Nach stundenlangen Telefonaten und Überweisungen gelingt es dem Team, ein Zimmer in einem Schutzhaus in Süddeutschland zu organisieren. Sie kaufen mir einige lebensnotwendige Dinge und begleiten mich zum Bahnhof, von wo aus ich an einen anderen Ort fahre. Dort warten bereits die Mitarbeiter des Schutzhauses auf mich.

FREITAG
5 Wochen später

Wenige Wochen nach meinem plötzlichen Ausstieg bin ich zurück in der vertrauten, dunklen Kälte der Berliner Straßen. Als ich meinen Freundinnen von Alabaster Jar begegne, sehe ich die Enttäuschung in ihren Augen. Sie fragen, was passiert ist, aber ich spiele es herunter. „Es ist alles in Ordnung, mir geht es gut“, lache ich und nehme einen Kaffee an. „Ich brauche nur das Geld.” Tatsächlich geht es mir jedoch gar nicht gut. Jede Nacht im Unterschlupf habe ich von diesen Straßen geträumt, als ob sie mich zurückrufen würden. Ich fühle mich wie eine Versagerin. Doch das Team umarmt mich und sagt: „Was immer du brauchst, wir sind für dich da.“

SAMSTAG
3 Monate später

Die Zeit vergeht und mir geht es schlechter denn je. Ich werde von meinen Zuhältern und Kunden misshandelt. Ich habe begonnen, harte Drogen zu nehmen, um mit dem alltäglichen Horror des Lebens fertig zu werden und dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu entkommen. Ich schaue im Café vorbei, aber ich will nicht reden. Ich esse und nicke ein. Als ich das Café später verlasse, drückt man mir einen rosa Valentinsgruß in die Hand, auf dem steht: „Du bist geliebt.“ Für einen Moment verschwindet die drogenbedingte Taubheit und Tränen füllen meine Augen.

SONNTAG
4 Monate später

Es ist Monate her, dass ich das Team von Alabaster Jar das letzte Mal gesehen habe. Ich wurde wegen Drogenbesitzes verhaftet und verbüße eine sechsmonatige Haftstrafe in einem örtlichen Frauengefängnis. Die Nummer des Teams kenne ich auswendig und weiß, dass ich anrufen könnte, aber ich schäme mich. Hat man mich vielleicht schon vergessen?

Was Maria nicht weiß, ist, dass das Team jede Woche bei den Einsätzen nach ihr sucht und regelmäßig ihren Namen vor Gott bringt…

*Diese Blogstory erzählt die Geschichte von M., einer fiktiven Frau in der Prostitution, deren Kämpfe und Erfahrungen nur allzu real sind. Die Geschichte jeder Frau ist einzigartig und unterschiedlich. M.s Geschichte zeigt aber verbindende Momente von Schmerz, Sieg, Krise und Heilung, die wir regelmäßig erleben, wenn wir Frauen in der Prostitution unterstützen. Wir hoffen, dass euch M.s Geschichte einen augenöffnenden Einblick in die Realität der Frauen schenkt, die in Prostitution leben.

So geht M.s Geschichte weiter:

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Möchtet ihr für Frauen wie M. und unser Team beten? Unser Gebetstagebuch 2025 zeigt euch unsere Anliegen und leitet euch im Gebet an.

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